Selamat Datang / Indonesia

Asienreisender

Eine Reisenotiz
aus dem indonesischen Archipel

Ich kam von der malaiischen Halbinsel und setzte von Penang aus nach Medan auf Sumatra über. Die Fahrt von Georgetown dauert ca. acht Stunden, hoher Wellengang ist nicht selten und manchmal sieht man fliegende Fische, lange, schlanke Tiere die mit der Schwanzflosse im Wasser rudern und deren Körper sich ansonsten vollständig über die Wasseroberfläche erhebt. Sie entwickeln dabei recht hohe Geschwindigkeiten.

Medan

Medan ist eine hektische asiatische Großstadt mit ca. 2,1 Mio. Einwohnern, die bei der feuchten Hitze des Klimas und der hohen Luftverschmutzung durch Autos, Motorräder, Betschaks, Busse aller Größe, LKW´s und weiterer Ausuferungen wie dem Verbrennen von Hausmüll auf offener Straße nicht zum Verweilen einlädt. Auffallend ist der kosmopolitische Charakter der Stadt. Hier treffen, ebenso wie in Georgetown, viele Völker aus dem ganzen Archipel und darüber hinaus zusammen. Nachfahren chinesischer und javanischer Kulis, eingewanderte Sikhs aus Indien, Araber und Tamilen, aber auch Batak, Minangkabau und Angehörige anderer malaiischer Völker prägen das Stadtbild.

Die Gebäude sind überwiegend niedrig gehalten, nur einige wenige erheben sich über die vielen, eher einfach gehaltenen Häuser, wie der Maimoon Palast aus der niederländischen Kolonialzeit oder die Masjid Raya Moschee und einige andere. Ich mußte hier einen Tag auf den nächsten Bus warten, so daß ich mit zwei anderen Deutschen, die ich in Malaysia kennengelernt hatte, eine Nacht in einem Losmen, wie die preiswerteren Unterkünfte dort heißen, verbrachte. Rudi kam aus Kiel und hatte gerade fünf Monate an der Universität in Georgetown Untersuchungen in Sachen Meeresbiologie hinter sich gebracht, seine Freundin hatte ihn jetzt, zum Ende seiner Zeit dort besucht, um zusammen noch ein paar Wochen durch Indonesien zu reisen.

Bukit Lawang

Am nächsten Tag fuhren wir mit einem der vielen heruntergekommenen Busse Richtung Nordwesten. Es dauerte eine ganze Zeit, bis wir die letzten Ausläufer der Stadt hinter uns ließen. Dann veränderte sich die Landschaft drastisch. Obwohl es in Indonesien durchaus industrielle Ballungszentren gibt, wird der allergrößte Teil des Landes entweder landwirtschaftlich genutzt oder gar nicht. Am häufigsten sieht man Reisfelder, lauter kleine Parzellen, eine an die nächste angrenzend, oft in Form malerischer Terrassen angeordnet. In dieser Gegend jedoch, durch die unser Weg uns nun führte, waren es große Plantagen mit Ölpalmen, Tee, Tabak, Kakao und Kautschuk. 90 Kilometer von Medan entfernt (gut drei Stunden in einem mit kleinen braunen Männern, Frauen, Kindern und Tieren aller Art überfüllten, chaotisch fahrenden Bus), erreicht man einen malerischen Ort am Rande des Dschungels. Ein kleines Dorf, errichtet aus primitiven Holz- und Bambushütten, zieht sich zwei Kilometer den Bohorok-Fluß hinauf, der direkt aus dem Urwald kommt. Ein kleines Paradies in einer der grünen Lungen unserer Erde. Der Name des Dorfes ist Bukit Lawang. Ich mietete mich für eine Woche in dem höchstgelegenen Losmen am Fluß ein, ohne Elektrizität oder die vielen Annehmlichkeiten der Zivilisation, badete und wusch mich im Fluß, saß nach Einbruch der Dunkelheit im Schein der Öllampen, die von Eingeborenen auf die Tische gestellt werden und unternahm tagsüber ausgedehnte Fußmärsche in die Umgebung.

Es gibt dort eine große Tropfsteinhöhle voller Fledermäuse. Man braucht eine Stunde, um bis ans Ende durchzugehen und zu klettern, aber es lohnt sich - sie ist sehr schön. Im Wald gibt es halbwilde Orang-Utans, von denen ich einige aus nächster Nähe sehen konnte, und einmal, es war schon dunkel und ich mußte einen schmalen Pfad mit der Taschenlampe in der Hand zurück zu meinem Losmen gehen, kreuzte eine große Schlange meinen Weg, die ich voller Erstaunen betrachtete. Sie schien keinen großen Respekt vor mir zu haben und starrte mich genau so überrascht an wie ich sie. Schließlich sagte ich ihr, sie solle jetzt doch bitte weitergehen, weil ich auf dem engen Weg sonst nicht an ihr vorbeikommen konnte, und sie tat es auch. Tschüs Schlange. Sie war wirklich groß, einen Meter oder etwas länger und an der stärksten Stelle etwa 5 cm. dick. Kopf und Schwanz waren rot, ihr Rücken silberfarben.

Am nächsten Morgen, beim Frühstück, kam einer der Eingeborenen zu uns an den Tisch und hatte einen 10 cm langen, pechschwarzen Skorpion in der Hand, dem er den Stachel abgetrennt hatte. Alle Anwesenden kamen neugierig zusammen und bestaunten das respekteinflößende große Spinnentier, machten einige Fotos und setzten sich nach ein paar Minuten wieder. Der Skorpion war langweilig geworden, der junge Held, der ihn gefunden und stolz präsentiert hatte setzte ihn zu Boden, wo er kaum noch beachtet wurde und schließlich irgendwohin verschwand, keiner weiß, wohin. Einen Augenblick beunruhigte mich der Gedanke, solch ein Tier könne in meine bescheidene Bambushütte eindringen und mein überall verstreutes Gepäck oder den Rucksack als einen guten Aufenthaltsort befinden - aber ich verwarf den Gedanken gleich wieder. Man sollte schon vorsichtig sein, aber man darf es auch nicht übertreiben - das ist schlecht für die Nerven und führt zu nichts Gutem. Außerdem ist diese Sorte Skorpion auch nicht tödlich, sollte er einen stechen - nur äußerst schmerzhaft und unangenehm. Ich habe danach auch keinen mehr gesehen.

Einmal wurde ich das Opfer eines Überfalles.

Ich war allein auf dem Weg zu einem Aussichtspunkt im Wald und mußte dazu eine Kakaoplantage durchqueren. Hinter einer Wegbiegung erschien eine kleine Holzbrücke. Ich wollte sie gerade überqueren, als plötzlich zwölf oder dreizehn Makaken-Äffchen aus den Baumwipfeln herabturnten und die Brücke besetzten. Ich blieb stehen, und die Gangster kamen auf mich zu, offenbar mit der Absicht, mir meine Tasche zu entreißen in der Hoffnung, darin etwas Eßbares zu erbeuten. Die meisten der Affen waren nicht sehr groß und eher Mitläufertypen, aber zwei von ihnen waren größer und kräftig, bleckten ihre Zähne und gingen den anderen voran, die ihnen folgten. Ich war ziemlich erschrocken und spürte meine Knie weich werden, faßte aber gleichzeitig den Entschluß, meine Tasche nicht kampflos abzugeben. Wie bestellt lagen viele Stöcke auf dem Boden herum, ich brauchte mich nur zu bücken um mich mit einem zu bewaffnen. Das machte sichtlich Eindruck auf die Jungs. Man kann an ihrem Gesichtsausdruck recht gut erkennen, was Affen denken. Sie wirken sehr menschlich. Gleichzeitig sprach ich laut auf sie ein und gab mich dabei kriegerisch. Langsam zog ich mich rückwärtsgehend zurück, und nach kurzer Zeit gaben sie die Verfolgung auf. Wenn es ihnen gelingt, einen anzuspringen und sich festzukrallen, am Oberkörper zum Beispiel, hat man schon schlechte Karten. Aber so kam ich noch einmal ungeschoren davon. Vielleicht hätte ich sogar weitergehen können, aber ich wollte die Situation nicht überstrapazieren und war froh, sie los zu sein. Es gibt dort sehr viele Affen, man sieht mehrmals täglich welche, auch andere Arten. Die schwarzweißen Languren sind sehr scheu, man sieht sie selten aus der Nähe, während die Gibbons größer und noch seltener sind.

Von Bukit Lawang zum Tobasee

Eigentlich war ich mit ein paar Leuten verabredet zusammen zu fahren. Wir wollten uns um zehn Uhr an der Busstation treffen. Das waren Dahlia, Indonesierin, Horst, Österreicher, seine indonesische Freundin Citi, vielleicht Wolfgang, ein Deutscher, der sich anscheinend gerade in Horst´s Freundin Citi verliebte und seine Schwester, oder auch nicht, mit den beiden war wohl nicht zu rechnen. Außerdem war eine spanische Familie im Gespräch. Eine durchaus nicht ganz normale Familie, ich habe mich hin und wieder gefragt, was für einen Film die fahren. Auch bei den anderen war ich mir alles andere als sicher, daß sie kommen würden. Es war gut möglich, daß sie beim Frühstück ihre ganzen Pläne über den Haufen werfen würden, oder sich entschließen könnten, später zu fahren oder einfach aufgehalten würden. Ich rechnete nicht mit ihnen, und das sollte nicht geringe Umstände für mich mit sich bringen. Doch das erfuhr ich erst am Tobasee.

Ich kam mit Andreas, einem Mittzwanziger aus Deutschland, nach einer halben Stunde Fußmarsch ´runter vom Ariko Inn, unserem Losmen am Rande des Dschungels, zur Busstation. Der Weg, ich bin ihn ungezählte Male gelaufen, ist besonders schön, vor allem der obere Teil, der nur ein schmaler Trampelpfad ist, auf provisorischen Brücken (meistens nur Baumstämme) durch den Wald führt, unter sich den Bohorok River, bis man dann in das Dorf hinabsteigt, das man der länge nach durchqueren muß. Nun gab es die alte Busstation als solche gar nicht mehr, sie funktionierte nur noch als Ankunftsstation für Busse, wir waren hier ausgestiegen, aber die abfahrenden Busse liefen aus einer anderen Busstation aus, die einen Kilometer entfernt lag. Es war gerade eine Minute nach zehn. Ich sah mich nach den anderen um. Keiner zu sehen. Was tun? Erstmal zur neuen Busstation, letzte Chance, sie zu treffen. Als wir dort ankamen, fehlte von ihnen jede Spur. Dafür wurden wir gleich von zwei Busfahrern bedrängt, möglichst Hals über Kopf ohne irgendetwas zu wissen bei ihnen einzusteigen. Wir schauten uns erstmal um, handelten den Fahrpreis aus und stiegen nach einer Weile ein. Die anderen waren immer noch nicht da, als wir viertel nach Zehn abfuhren. Natürlich weiß jeder, daß Pünktlichkeit im Orient nicht zu den Kardinaltugenden gehört. Ich hätte auch noch eine Zeitlang warten können. Aber ich hielt es für geschickter, keine Zeit zu verlieren, da die Fahrt bis zu sechs Stunden dauert und die letzte Fähre von Parapat auf die Insel Samosir gegen 17 Uhr gehen würde.

So fuhren wir mit einem Bemo zurück durch die Palmplantagen, zu unserer Rechten das Leuser Gebirgsmassiv, das zwischen den Bäumen immer wieder auftauchte, dann die ersten Vororte Medan´s, die sich rasch verdichten.

Da Andreas vorhatte, nach Berastagi zu fahren, beschloß ich, ihn bis dahin zu begleiten um dann in Kabanjahe umzusteigen in den Bus nach Parapat. In Pinang Baris, der Busstation in Medan, aßen wir etwas viel zu Scharfes, was mir später im Bus dann noch zu schaffen machte. Wieder änderte sich die Landschaft. Wir durchquerten Reisfelder und schraubten uns in das Karo Hochland hinauf. Diese Region ist von dem Volk der gleichnamigen Karo - Batak besiedelt. Es gibt fünf bis sieben verschiedene Batakvölker bzw. Stämme, jeder Batak kommt irgendwann auf diesen Punkt zu sprechen, und jeder kommt auf eine andere Zahl zwischen fünf und sieben. Außer den Karo sind mir bekannt die Toba, die Simalun, die Pakpak, die Mandailing und die Angkola, die aber nur eine nicht klar abgegrenzte Untergruppe der Mandailing bilden. Die Batak werden auf 1,3 Mio. Menschen beziffert, die Karo auf 180.000. Zwei Drittel der Batak sind Christen, die Mandailing im Süden erlagen im Gegensatz zu ihren Verwandten im Norden der islamischen Eroberungswelle und beten jetzt zu Allah. Untereinander sprechen sie so unterschiedliche Sprachen, daß sie einander nicht mehr verstehen können. Die Ursache liegt in der jahrhundertelangen starken Selbstisolierung dieser Völker, die sogar die Wege zwischen ihren Dörfern verfallen ließen. Jeder Eindringling in ihr Land wurde als ein Sakrileg betrachtet, der, damit die heilige Ordnung von Ober- und Unterwelt wiederhergestellt wurde, am Marterpfahl oder auf andere Weise den Tod fand um anschließend in den Mägen der Eingeborenen zu enden. So erging es auch einigen deutschen und niederländischen Missionaren in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, bevor es ihnen gelang, die Bibel in der Region zu verbreiten. Aufgrund ihrer kannibalischen Vergangenheit haben die Batak im ganzen Archipel einen barbarischen Ruf, obwohl man heute nichts mehr davon merkt. Spricht man einen Batak darauf an, so will er nichts davon wissen.

Andreas stieg also in Berastagi aus und ich erreichte zwanzig Minuten später den Verkehrsknotenpunkt Kabanjahe. Nur mühsam konnte ich mit meinem bis dato geringen Bahasa Indonesia, der Nationalsprache, die all die über dreihundertfünfzig Völker im Land vereint, herausbekommen, welcher von all den Bussen hier derjenige nach Parapat ist. Das hätte mir schon allein sehr seltsam vorkommen müssen, denn bei dem Eifer, mit dem die Busfahrer und mehr noch ihre Beifahrer Fahrkundschaft anzulocken versuchen, muß man normalerweise nur den Namen des Ortes nennen, zu dem man will, und schon bringen sie einen an ihren Bus oder an den richtigen Mann der weiß, welches der richtige Bus ist. Jedenfalls saß ich schließlich in einem Bus, der ewig lange durch das vulkanische Gebirge fuhr, das sich durch ganz Zentral- und Westsumatra erstreckt. Die Fahrt nahm kein Ende, es wurde dunkel, und ich hätte längst am Ziel sein müssen. Noch immer fuhren wir, erst eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit erreichten wir die Stadt, die ich ganz bestimmt für Parapat hielt. Ich stieg aus und brauchte eine halbe Stunde um herauszufinden, daß es Pematang Siantar war. Gleichzeitig stellte sich heraus, daß heute auch kein Bus mehr nach Parapat gehen würde, von der Fähre ganz zu schweigen. So sah ich mich gezwungen hier, in der lauten, zweitgrößten Stadt Nordsumatras, eine Nacht zu bleiben.

Ich ging in einem nahegelegenen Restaurant etwas essen. Es war ein Karaoke Restaurant, nur die Bediensteten waren dort und ein Mann stand auf der Bühne und sang. Die Lautstärke war ohrenbetäubend. Ich ging durch den Saal, ließ die Tische zu meiner Rechten liegen und betrat die Terrasse. Sie ging zur Straße 'raus und war recht groß. Ein Kellner, fast meine Größe, mit Oberlippenbart und ca. 50 Jahre alt, kam auf mich zu und sagte:
„Good evening, sir. Do you want to eat?“
„Yes, please. Can I sit outside, here?“
„You want to sit here? That´s no problem. Do you want to sing a song?“
Der ohrenbetäubende Krach hielt an und klang verbogen und übertrieben schnulzig.
„Oh, no. I´am not able to sing. My voice is too dark for singing. I could only scream.“
Er blickte mich verständnislos an und die Bediensteten bauten einen Tisch auf, der an der Umrandung der Terrasse stand. Als ich Platz nahm, war ich umringt von ihnen. Zwar konnte ich nur bei einem jungen Mädchen die Bestellung aufgeben, aber alle wollten hören, was ich sagen würde. Ich räusperte mich und bestellte mir ein Reisgericht mit viel Gemüse und etwas Hühnerfleisch. Der Kellner, mit dem ich mich vorhin unterhalten hatte, kam an meinen Tisch und bat, Platz nehmen zu dürfen. Nachdem er sich gesetzt hatte, brachte er eine der Standardfragen hervor, mit denen man sich in Indonesien immerzu konfrontiert sieht und die eine Kennenlernfunktion haben, bei der man den anderen beschnuppert.
„Where are you from?“, woher kommen Sie?
„Aus Deutschland“, antwortete ich brav. „Und Sie?“
„Von hier, aus Siantar. Meine Familie hat ein Geschäft zwei Straßen weiter. Verbringen Sie Ihre Ferien hier?“
„In der Tat, das tue ich. Eigentlich hatte ich vor, heute nach Parapat zu fahren, aber da ist etwas schiefgelaufen. So bin ich hier gelandet und muß bis morgen warten. Aber sei´s drum. Und Sie sind Batak Simalun?“
„Ja“, sagte er, irgendwie erfreut, daß ich ihn drauf ansprach. Er war sehr höflich, mit einer Mischung aus Neugierde und Zurückhaltung. Sein Englisch war sehr gut. Dann begann er, mir die verschiedenen Batakvölker aufzuzählen. Er ließ die Angkola aus, und ich fragte ihn danach.
„Die Angkola Batak sind ein Teil der Maindailing. Sie leben im Süden und sind Moslems.“

In dem Moment kam mein Essen. Das Gemüse sah gut aus, in einer leckeren Soße serviert, Fleisch und Reis wurden in Extraschüsseln serviert und dampften vor sich hin. Ich dampfte auch gerade und beschloß, damit aufzuhören. Ich drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Zuvor hatte ich meinem Gegenüber eine angeboten, aber er hatte abgelehnt. Er habe das Rauchen aufgegeben. Sei nicht gut für die Lunge. Der Gedanke war mir auch schon gekommen, meistens zündete ich mir kurz darauf eine Zigarette an. Aber es ist ungewöhnlich für einen indonesischen Mann, nicht zu rauchen. Fast jeder raucht hierzulande. Nur die Frauen nicht. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Man sieht dies nur ganz selten.

Ich ließ sie rauchen oder nicht und wendete mich meinem Essen zu. Nach ein paar Happen begann es in meinem Bauch zu blubbern, dann meldeten sich heftige Schmerzen an. Ich hatte die Symptome schon seit einigen Tagen, und es hing mir zum Hals ´raus. Ich konnte deswegen nicht mehr so viel rauchen, das Bier bekam meinen Magen auf einmal nicht mehr und Nahrung blieb nicht so lange im Körper, wie ich mir das gewünscht hätte, zumal wenn sie auch noch scharf war. Ich wußte, was ich zu tun hatte. Eine kleine Entschuldigung murmelnd stand ich auf und strebte auf die Toilette zu.

Später ging ich zu meinem Losmen zurück, zweihundert Meter die Straße hinunter. Mein Zimmer war klein, stickig und nicht allzu sauber, und von draußen drang der Lärm einiger Einheimischer herein, die in einem Innenhof saßen, Gitarre spielten und dazu sangen. Es war mir egal, ich war müde und streckte mich auf dem Bett aus.
Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Ich wusch mir durchs Gesicht und packte meine Sachen zusammen. Dann ging ich hinunter, bezahlte und stieg in einen Bus. In der Station bekam ich fast sofort einen Bus nach Parapat. Plötzlich lief alles wie am Schnürchen.

Fünfhundert Meter später hielt der Bus jedoch schon wieder an. Fahrer und Beifahrer stiegen aus, schauten sich etwas am linken Vorderrad an und holten Werkzeug. Sie schraubten das Rad ab und begannen, an etwas zu arbeiten, was ich nicht sehen konnte. Allzu eilig schienen sie es nicht zu haben. Zwei Jungen gingen dicht am Bus vorbei, sahen mich und fragten mich, ob ich Zigaretten kaufen wolle. Sie hatten gar keine Zigaretten dabei. Ich antwortete schlicht mit nein. Sie fragten mich noch dies und jenes und ich gab geduldig Auskunft. Als sie endlich verschwanden, waren die Reparaturarbeiten immer noch nicht wesentlich vorangeschritten. Ich zündete mir eine Zigarette an und wartete. Eine Gruppe Mädchen kam vorbei, eine zeigte mit dem Finger auf mich, alle schauten zu mir rüber, einen Moment sogar die Leute im Bus, und dann fingen die Mädchen an zu lachen. Sehr witzig. Ich verzog den Mund zu einem angedeuteten Lächeln. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Als nächstes kam eine Früchteverkäuferin vorüber und bot allen Insassen Bananen, Papaya, Annanas, Rambutan und andere Früchte an. Ich kaufte zwei Bananen und aß sie. Dann wartete ich weiter und zündete mir noch eine Zigarette an. Nach knapp eineinhalb Stunden schraubten Fahrer und Beifahrer unter den Blicken einer Traube von Jungen und einigen Männern das Rad wieder an. Dann knüpfte der Fahrer ein lebhaftes Gespräch mit einem der Umherstehenden an. Andere mischten sich ein, und als alles ausdiskutiert war, bestieg der Fahrer den Bus und setzte sich ans Steuer. Er ließ den Motor an, fuhr zehn Meter und stoppte wieder. Stieg aus und sah sich den Bus nocheinmal von außen an, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. Besonders sah er sich das Rad an. Sein Eindruck von dem Rad war anscheinend, daß es in Ordnung war. So fuhren wir an. Bis zur Tankstelle zwei Kilometer weiter. Dort stieg der Fahrer bei laufendem Motor mit einer Zigarette im Mundwinkel aus und sprach mit dem Tankwart. Der Tankwart, ebenfalls rauchend, ließ Benzin durch den Füllstutzen in den Tank des Busses laufen. Nach einiger Zeit zog er ihn lässig hinaus und hängte ihn ein. Gut so. Ich schaute zur anderen Seite, und sah einige Kinder mit einer toten Katze spielen. Ich sah geradeaus und blickte auf eine alte Frau mit runzeliger Haut, die eine Betelnuß kaute. Ihr fast zahnloser Mund und ihre Lippen waren rot. Auf ihrem Schoß lag ein Korb mit Früchten und sie starrte mich an. Ich wußte nicht mehr so recht, wo ich jetzt noch hinschauen sollte, ich hatte schon alle Richtungen durch. Also schloß ich die Augen.

Es gibt Aktionen, bei denen geht alles schief. Als ich gestern um zehn in Bukit Lawang losfuhr, rechnete ich mit einer sechsstündigen Fahrt nach Parapat. Nach zehn Stunden stellte ich fest, daß ich in der falschen Stadt war und nicht mehr weiterkam. Mir wurde in Siantar mehrfach versichert, die Fahrt von dort nach Parapat dauere nicht mehr als eine Stunde. Jetzt saß ich schon seit zwei Stunden in dem Bus, und wir hatten gerade mal die Stadtgrenzen hinter uns gelassen. Auf uns donnerte eine erbarmungslose Tropensonne herab, im Bus stank es, größere und kleinere Kakerlaken liefen auf dem Boden und an den Wänden herum, und einen Moment lang hing mir alles zum Hals heraus. Dann fing ich mich wieder und schlug die Augen auf.

Kurz darauf fuhr der Bus erneut an. Wir hielten nun an einer der Holzhütten, die den Weg säumten. Ihr Wellblechdach wurde durch eine abenteuerliche Drahtkonstruktion mit dem Rumpf des Hauses verbunden, das leicht nach links geneigt in der Hitze stand. Auf der Veranda, unter einem Palmfieberdach, saßen einige Männer und spielten Karten. Ich konnte auch Geldscheine auf dem Tisch erkennen. Der Fahrer stieg wieder aus, lief zu den Männern am Tisch, ließ sich einen Tee bringen und machte einen Einsatz. Er spielte drei Spiele, trank seinen Tee zu Ende und ging mit der größten Seelenruhe zum Bus zurück. Die Passagiere waren die ganze Zeit ruhig im Bus sitzen geblieben und ließen keine Anzeichen von Ungeduld erkennen. Ich verhielt mich genauso. Wir fuhren weiter. Ungefähr zehn Minuten später erwischte uns die Polizeistreife. Sie winkten uns zur Seite. Wir hielten etwa zwanzig Meter hinter ihnen. Der Fahrer gab seinem Beifahrer zwei Geldscheine, und der lief zu einem der Bullen. Die beiden gaben sich die Hand, der Beifahrer lief zum Bus zurück und wir fuhren weiter.

Als wir in Parapat ankamen, war es schon kühler, obwohl es gegen mittag war. Der Tobasee liegt 905 m über dem Meeresspiegel, hier ist es längst nicht mehr so heiß, wie in den feuchten Niederungen um Siantar.

Ich mußte nocheinmal umsteigen, in einen Bemo, der hinunter zum Ufer fuhr. Die Fahrt dauerte zehn Minuten. Ich kletterte aus dem Bus und konnte aufatmen. Ich stand endlich am Ufer des legendären Tobasees.

An den Gestaden des Tobasees

Vor knapp 80.000 Jahren soll es hier einmal mächtig geknallt haben. Es war einer der größten Vulkanausbrüche der Erdgeschichte. Enorme Mengen an Asche und Lava wurden dabei freigegeben. Allein cirka 2000 km³ Asche wurden in die Luft geblasen und verteilten sich über große Teile Südostasiens, ein Teil davon rieselte noch in Indien aus der Atmosphäre zu Boden. Durch den großen Verlust an Magma fiel der Vulkan in sich zusammen. Es bildete sich ein Kratersee, in dem nach Jahrtausenden durch weitere Vulkanausbrüche und unterirdischen Druck zwei vormals versunkene Kraterränder mit Gewalt wieder zum Vorschein kamen: die Insel Samosir und die Bergkette zwischen Parapat und Porsea.

Diese große Naturkatastrophe findet auch in der Sagenwelt der Batak ihren Niederschlag. Ein Fischer fing in einem kleinen Teich einen großen Fisch. Der Fisch verwandelte sich, sehr zum Erstaunen des Fischers, unversehens in eine wunderschöne Frau. Sie erklärte sich, zum noch größeren Erstaunen des Fischers, einverstanden, ihn zu heiraten. Aber nur unter der Bedingung, daß er niemandem etwas von ihrer Herkunft erzähle. Er versprach es und damit war die Sache soweit klar. Ich frage mich nur, was er den Leuten in seinem Dorf für eine Geschichte aufgetischt haben mag, wie er zu dieser Frau kam. Auf diese Frage habe ich nie eine Antwort bekommen. Nun, wie auch immer. Eines Abends, er saß mit anderen Männern beim Spiel zusammen, vielleicht wurde auch etwas getrunken, kam es, wie es bei diesen Geschichten immer kommt: er redete zuviel, wollte sich möglicherweise noch aufspielen, und dann war es ´raus. Die Männer wußten sein Geheimnis. Daraufhin reagierte die Frau so wütend, daß sie ein gewaltiges Unwetter auslöste, mit sintflutartigem Regen, Erdbeben und Blitzen, die das Land in Stücke brachen. An dieser Stelle sammelte sich das Wasser zum heutigen Danau Toba. Die Frau sprang hinein und wird seitdem als Baru Saniang Naga, als Drachenkönigin, verehrt. Und gefürchtet. So mancher der Fischer, die bei einem plötzlich einsetzenden Wettersturz auf dem See ums Leben kamen, hatte es wohl versäumt, die Drachenkönigin durch Opfergaben bei guter Laune zu halten.

Der heutige See ist gut doppelt so groß wie der Bodensee. In seiner Mitte liegt die Insel Samosir, die im Osten hinter einem mehr oder weniger schmalen Küstenstreifen 500m steil aufragt, um im Westen langsam abzufallen. Genaugenommen ist Samosir eine Halbinsel, sie war früher durch eine schmale Landbrücke mit der Landseite verbunden gewesen. Die niederländischen Kolonialherren ließen jedoch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts an dieser Stelle einen Kanal anlegen, um auch dieses Stück schiffbar zu machen. Die Landverbindung ersetzten sie durch eine kleine Brücke, die noch immer existiert.

Die Umgebung ist gebirgig und bewaldet, hier und da ragt ein Vulkankegel heraus. Die Vulkane zählen alle über 2000 m. Die Landschaft ist von atemberaubender Schönheit und mutet manchmal geradezu surrealistisch an, so als wäre sie das Werk eines phantastischen Künstlers.

Ich ging also leicht angeschlagen auf die Fährstelle zu. Eine der Dschunken, die nach Tuk-Tuk fahren würde, lag direkt vor Anker. Ich ließ meinen Blick über die handvoll Passagiere schweifen, die bereits an Bord waren. Mein Blick blieb augenblicklich auf Dahlia haften, die mich im selben Moment bemerkte und ihr breitestes Grinsen aufsetzte, zwei Reihen großer, weißer, beachtlicher Zähne, die bei diesem Gesichtsausdruck gut ein Drittel ihres Gesichtes einnahmen. Ich grinste nach Kräften zurück, aber selbst mein allerstrahlendstes Lächeln dürfte bei weitem nicht so üppig ausfallen wie das ihre. Ich erzählte ihr von meiner umständlichen Busfahrt. Sie meinte, mein Fehler sei gewesen, in Medan von der Busstation Pinang Baris aus zu fahren anstatt von Amplas. Ich hätte nur nach Amplas gehen müssen und dort einen Direktbus nach Parapat bekommen, der vier Stunden benötigt hätte anstatt zehn plus Übernachtung wie bei meiner Variante. Sei´s drum.

Inzwischen waren noch ein paar Touristen und einige Einheimische an Bord gegangen. Die Dschunke legte ab und wendete. Aus den Lautsprechern erscholl nun Indo-Pop. Ein unkonventionelles, buntes Klanggemisch aus unvertrauten Tönen mit viel Gesang. Sehr lustige, stimmungsvolle Musik. Ein Musik gewordenes Lachen, das alle Lebensfreude der Welt in sich aufzunehmen schien. Um uns herum schimmerte nun in allen Richtungen die dunkelblaue Oberfläche des Sees. Die Dschunke hüpfte auf den kleinen Wellen auf und ab. Auf der gegenüberliegenden Seite kam uns die Insel allmählich näher, voran die pilzförmige Halbinsel Tuk-Tuk.

Am Bug begann die schon vorher erwähnte Spanierin zu tanzen. Sie hatte ein verzücktes Lächeln im Gesicht. Sie schien glücklich zu sein, glücklich auf eine Weise, die mir spanisch vorkam. Wahrscheinlich war sie high. Später bekam ich heraus, daß sie ähnlich viel kiffte wie Dahlia rauchte, Dahlia, die nie ihre Zigaretten ausgehen ließ, ihre Gudang Garam, die Kretek Zigaretten mit dem süßlichen Nelken- und Zimtgeruch. Jedenfalls ließ sich Samanta, so hieß sie, mit der Musik mitgehen, mit Hüftschwung, Händeklatschen und dem gutmütigen Versuch, andeutungsweise mitzusingen. Ihre bunten Batiksachen wehten im Wind und sie sah bei alldem viel jünger aus, als sie in Wirklichkeit war.

Während sie sich dem Tanz hingab, saßen ihr siebzehnjähriger Sohn, ein Sunny-Boy kalifornischen Ausmaßes, der ihr sehr ähnlich sah, und ein junges, sehr hübsches, schwarzhaariges Mädchen, das ihr gar nicht ähnlich sah, nebeneinander schräg rechts vor mir und unterhielten sich. Sie drehten mir dabei den Rücken zu.

Rechts von mir, auf der Steuerbordseite, saß eine indonesische Familie, die sich sehr aufgelockert unterhielt. Zwei Erwachsene und vier Kinder, alle Kinder sehr jung und nicht mehr als zwei Jahre zwischen ihnen. Sie verbreiteten Lebhaftigkeit. Alles hier verbreitete Lebhaftigkeit. Dahlia, die übrigens eigens deshalb nach Parapat kam, um auf mich zu warten, wie es den Eindruck machte, hatte eine Freundin an Bord, die auf meine Bekanntschaft sehr erpicht zu sein schien. Sie war dick, mondgesichtig und vulgär. Sie war nicht gerade abstoßend, aber auch nicht die Sorte Mensch, mit der ich meine Zeit verbringen wollte. Dahlia stellte sie kurz als Siska vor. Sie fletzte sich augenblicklich neben mich und presste ihre Beine wie unabsichtlich gegen meine.
„Apa kabar?“ fragte sie.
„Baik, baik, kabar baik“ antwortete ich.
„Dari mana?“
„Saya dari Jerman“
„Ach so...“ sagte sie.
„Ja, ja,“ sagte ich und fischte eine frische Schachtel Camel aus meinem Rucksack. Ich riß sie auf und fummelte eine so weit aus dem Celophan, das sie mit dem Filter herausschaute.
„Mau meroko?“ fragte ich, indem ich ihr die Schachtel so hinhielt, das sie bequem die Zigarette herausnehmen konnte.
„Mau ke mana?“ fragte sie mich, während ich ihr die Zigarette anzündete. Ich ließ mir mit der Antwort etwas Zeit.
„Jalan ke Wisma Anju“
„So wie Dahlia, ja?“ setzte sie auf englisch fort.
„So ist es. Sie hat mir die Unterkunft empfohlen. Da ich nichts besseres weiß, probiere ich es aus.“

Ich warf einen Blick auf die sich bewegende Wasseroberfläche. Ich versuchte, tiefer zu schauen, doch die Spiegelung war zu stark, man konnte nichts erkennen. Der See soll bis zu 800 m Tiefe aufweisen. Aber außer dem Müll, der allezeit über Bord ging, war nichts zu erkennen. Bananenschalen, Zigarettenkippen, Plastikverpackungen und verklappte Toilettenabfälle. Keine großen Fische, keine kleinen Fische, keine Drachengöttinen. Nur ein tiefes, kräftiges Blau. So blau wie ein Seemann nach einer durchzechten Nacht. Die Sonne sandte ihre Strahlen von ganz oben, stark, aber nicht zu stark. Bei angenehmen fünfundzwanzig Grad und einem frischen Wind war das Wetter großartig zu nennen. Das ganze drumherum stimmte, dazu die heitere, unbeschwerte Atmosphäre. Mit dreißig ist man schon ganz froh, wenn man zwischendurch noch einmal tief durchatmen kann. Ich tat es. Dann lehnte ich mich in der Sitzbank zurück und blickte in den blauen Himmel. Ich zündete mir eine Zigarette an. Dahlia hatte sich nach vorne abgesetzt. Sie tanzte jetzt auch.
„Möchtest du schwimmen?“ fragte Siska und deutete über Bord.
„Willst du damit sagen, du willst mich da ´reinschmeißen? Dazu mußt du aber noch so manche Schüssel Reis essen, mit viel Proteinen und Aufbaustoffen und so weiter. Ich bin nämlich ein ganz schwerer Brocken. Was machst du eigentlich in Tuk Tuk? Hast du einen Job hier?“
„Ja. Ich arbeite im Anjou.“
„Na, so´n Zufall. Da werden wir uns ja wiedersehen. Was ist denn deine Aufgabe dort?“
Sie sagte etwas, was ich nicht verstand. Ich habe sie nie irgendetwas arbeiten sehen, nie auch nur einen Finger krumm machen sehen. Sie saß immer nur herum und unterhielt sich mit diesem und jenem. So wie die meisten hier.
Wir näherten uns jetzt der Küste. Die Fähre würde jetzt die ganze Halbinsel abklappern und immer dort anlegen, wo jemand aussteigen wollte. Da das Anjou am anderen Ende des Ortes lag, würden wir so ziemlich als letzte das Boot verlassen.

Ich blieb eine Woche. Während dieser Zeit geschah eine ganze Menge.

Written by Asienreisender, October 1996

Asienreisender